Mallorca, ein Eisenbahnparadies

Die Eisenbahn von Palma nach Sóller gehört zu den Touristenttraktionen von Mallorca - wegen der schönen alten Züge, aber auch aufgrund der herrlichen Landschaft. Hier passiert ein talfahrender Zug das Viadukt von Monreals, im Hintergrund der Ort Sóller, auf den die Bahn zusteuert.

Mallorca, ein Eisenbahnparadies


Zunächst mag die Überschrift Zweifel auslösen. Mallorca mag – je nach persönlichem Schwerpunkt - für schöne Strände stehen, für abenteuerlich steile Küsten, für lebendiges Nachtleben oder traumhafte Wandertouren. Doch von einem Eisenbahnparadies zu sprechen, scheint zunächst verwegen.

Gewiss, da gibt es den „Roten Blitz“, den Tren de Sóller, zwischen der Inselmetropole Palma und dem beschaulichen Städtchen Sóller, der immerhin – elektrisch betrieben – seit 1929 mit weitgehend unveränderten Triebwagen (und Wagen) durch die malerische Landschaft pendelt. Und vielen Besuchern ist auch die urige Straßenbahn bekannt, die den Anschluss an den Hafen von Sóller herstellt. Doch diese heutigen Touristenbahnen machen gerade einmal zehn Prozent des einstigen mallorquinischen Eisenbahn-Streckennetzes aus.

Blick in die Geschichte


Mallorcas Eisenbahn-Geschichte geht schon weit über 150. Jahre zurück: Schon 1856 wurden erste Pläne für eine Eisenbahnstrecke ins nördliche Hinterland von Palma veröffentlicht – allerdings sollte damals ein kleiner Ort namens Bunyola Endstation werden, an die Überwindung des großen Gebirges wagte man sich damals noch nicht heran. Zur selben Zeit konkretisierten sich die Überlegungen, die Städte Inca, Port d’Alcúdia, Manacor und Felanitx mittels Eisenbahn an Palma anzuschließen. Damit schuf man die Planungsgrundlage des in den folgenden Jahrzehnten realisierten Netzes.

1873 begannen die Bauarbeiten auf der Insel. Es sollte ein Netz in der Spurweite von 914 Millimeter – exakt einem englischen Yard – entstehen, das in seiner Blütezeit um die  Mitte des vergangenen Jahrhunderts eine Gesamtausdehnung von 260 Kilometern erreichte. Der erste Abschnitt, der 1875 in Betrieb ging, war die heutige Hauptstrecke Palma – Inca. Drei Jahre später fuhren die Züge schon weiter nordwärts nach Sa Pobla, im Jahr darauf auch nach Manacor am Ostrand der Inselebene.

Diese Strecken baute und betrieb, wie auch die 1897 eröffnete Verbindung nach Felanitx, die staatliche Eisenbahngesellschaft. Daneben formierte sich die private Gesellschaft „Ferrocarril de Sóller“, die 1907 mit der Realisierung der Bahnlinie nach Sóller begann. Nach fünf Jahren Bauzeit fand die feierliche Eröffnungsfahrt statt: Die Gleise für den „Roten Blitz“, wie er bald heißen sollte, waren gelegt. Ein Jahr folgte die Straßenbahn-Anbindung zum Hafen von Port de Sóller, die offiziell Teil der Palma-Strecke wurde, um trotz der geringen Länge in den Genuss von Fördermitteln zu kommen.

Mit der Elektrifizierung der Bahnlinie zwischen Palma und Sóller im Jahre 1929 sowie der Beschaffung von vier elektrischen Triebwagen begann ein neuer Abschnitt der Geschichte der Sóller-Bahnen, die bis heute ohne einschneidende Veränderungen am Fahrzeugpark, an den Bahnanlagen oder der Streckenführung andauern sollte – sieht man einmal von der 2010/2011 um einige Meter versetzten Trassierung der Trambahn in Port de Sóller ab.

Die Entwicklung des übrigen Streckennetzes war da um einiges wechselvoller: In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erreichten die Züge erstmals Santanyi (1918) und Artà (1921), die verkehrsreiche Strecke Palma – Inca wurde zweigleisig ausgebaut. Auch in Palma entstanden mit der 1916 in Betrieb genommenen Stadtstraßenbahn und der 1932 eröffneten Stichstrecke zwischen Bahnhof und Hafen neue Schienenwege. Doch schon in den 1950er-Jahren begann der Rückzug der Eisenbahn von der prosperierenden Ferieninsel: 1959 ratterten die letzten Straßenbahnwaggons durch die Hauptstadt, und 1965 – nicht einmal 50 Jahre nach der Eröffnung – standen auch die Signale Richtung Santanyí endgültig auf Rot. Mit dem Streckensterben aufgrund des stetig zunehmenden Individualverkehrs schlitterte die staatliche Eisenbahngesellschaft „Ferrocarriles de Mallorca“ weiter in die Krise: 1967 endet der Gütertransport auf den staatlichen Schienen, und ein Jahr später wurde die Strecke nach Felanitx stillgelegt. Knapp zehn Jahre sollte es noch dauern, bis die letzte der drei großen Nebenstrecken, die Verbindung Inca – Manacor – Artà, offiziell aus technischen Gründen gesperrt wurde. Damit war das einst so umfangreiche Netz auf bescheidene 29 Kilometer Länge geschrumpft.

Auch zwischen Palma und Inca rückten Ende der 1970er-Jahre die Bagger an – diesmal jedoch nicht, um Gleise für immer zu entfernen, sondern um sie umzuspuren: Die Strecke, die vor allem dem Pendlerverkehr im Großraum Palma dient, sollte erhalten bleiben, doch die inzwischen unpopulär gewordene Spurweite verhinderte den günstigen Ankauf von gebrauchten Fahrzeugen. Mit der Eröffnung des ersten 1000-Millimeter-Gleises zwischen Palma und Inca (1981) nahmen dann „neue“ Dieseltriebwagen, die man vom spanischen Festland übernahm, den Betrieb auf: Sie standen zuvor bei der Bahngesellschaft Feve im Einsatz und ähneln den in Deutschland bekannten „Esslinger Triebwagen“. Dieser Innovation fiel jedoch der nicht umgespurte Restabschnitt bis Sa Pobla zum Opfer: Er wurde zeitgleich als letzter stillgelegt und später weitgehend abgebaut.

Die Wende 1


Knapp 40 Jahre nach Beginn des Rückzuges aus dem Schienenverkehr setzte in den 1990er-Jahren eine Kehrtwende ein: Der Tourismus-Boom und der damit immer unerträglichere Individualverkehr führten zu überfüllten Straßen und immer größeren Umweltbelastungen, die sich mit dem gewachsenen eigenen Bild einer grünen Ferieninsel deckten. Mallorca begann, wieder auf die Bahn zu setzen.

Am 13. Januar 1994 gründete man per königlichem Dekret die öffentliche Gesellschaft „Serveis Ferroviaris de Mallorca“ (SFM). Und seither erlebte die mallorquinische Baubranche einen neuen Boom – der SFM und hunderten von Millionen Euro aus EU-Kassen sei Dank.

Zunächst wurden die 1000-mm-Strecke nach Inca zweigleisig ausgebaut und der Bahnhof von Palma umgestaltet. Die Unterwegsbahnhöfe wurden renoviert, neue Dieseltriebwagen mit 100 Stundenkilometern Höchstgeschwindigkeit ersetzten die alten „Esslinger“. 2001 wurde nach  20 Jahren Betriebsruhe die Strecke Inca - Sa Pobla mit neuen Gleisen wiedereröffnet. 2003 erlebte dann die Strecke (Inca -) Empalme - Manacor ihre Wiedereröffnung – ebenfalls mit neuen 1000-Millimeter-Gleisen, im Vergleich zur vorangegangenen Ausbaustrecke jedoch mit deutlich höheren Investitionen. Diese flossen nicht zuletzt in den Wiederaufbau der alten Bahnhofsgebäude, die sich nun – selbst wenn sie, wie in Petra, auf Wunsch der örtlichen Bevölkerung gar nicht mehr an der Strecke liegen - in neuem Glanz präsentieren.

Mit der Eröffnung einer eigenen U-Bahn von Palma zur Universität endete 2007 auch die kurze Ära des zwischenzeitlichen Endbahnhofes von Palma: Dieser wurde mit gigantischem Aufwand (über 90 Mio Euro) unter die Erde verlegt, wo heute viel Glas und zehn unterirdische Bahnsteige die Fahrgäste empfangen.


Die Wende 2


Nicht minder zaghaft begann man mit dem Wiederaufbau der Strecke von Manacor nach Arta: 190 Mio Euro wurden bewilligt, um 2010 mit der Wiederherstellung des Bahndammes, dem Bau von Unterführungen und Tunnels sowie der mustergültigen Renovierung der Bahnhofsgebäude, die vorher Ruinen glichen, zu beginnen. Sogar Kinderspielplätze und Behindertenparkplätze wurden rasch fertiggestellt. Das Problem nur: Es liegen bis heute keine Gleise, und es ist unsicher, ob und wann jemals die bereits beschafften neuen straßenbahnähnlichen Züge der Reihe 91 hier fahren und in der neuen, ebenfalls schon weitgehend fertiggestellten Werkstätte in Son Carrio gewartet werden können – das Geld ist nämlich aus. Oder, je nach Lesart, kam es nie in zugesagter Höhe aus Madrid. Und so dürfte dies eine der derzeit teuersten Bauruinen Spaniens sein.

2012 wurde der Verkehr zwischen Palma und Inca bzw. Empalme auf elektrischen Betrieb umgestellt – Strommasten trüben das Bild und versorgen die neuen hierfür beschafften elektrischen Triebwagen von Vossroth mit Energie. Ende 2018 folgen die Restabschnitte bis Manacor und Empalme, womit die Geschichte der Dieseltriebwagen auf der Insel zu Ende gehen dürfte.

Mit dem Baustopp zwischen Manacor und Artà sind auch andere Neubau-Träume erst einmal wieder in die Schublade gewandert: zum Flughafen von Palma, zur Cala Millor oder nach Alcúdia. Und ob sie dort so schnell rauskommen, ist nicht nur angesichts der Wirtschaftskrise Spaniens fraglich: Die Bahngesellschaft SFM ist chronisch verschuldet. Schulden von über 500 Mio Euro, davon alleine bei den Banken mehr als 350 Mio Euro, und jährliche Personalkosten von fast 15 Mio Euro stehen Jahreseinnahmen von gerade mal 5 Mio Euro gegenüber. Weshalb sich auch immer mehr Gegner der – auf Mallorca im Landesvergleich überdurchschnittlich teuren – Bahnausbauten formen.

Auch wenn die neuen Schienenstränge mit der Romantik der Eisenbahn von einst nichts mehr gemein haben: Sie sichern den Schienenverkehr auf der Insel für das laufende Jahrhundert. Ob die Planung und die Investitionsschwerpunkte immer maßvoll waren, einmal außen vor. Und wer die Nostalgie sucht, findet ein reiches Betätigungsfeld – sei es im 75 Jahre alten „Roten Blitz“ und der anschließenden Tramstrecke, sei es auf „eisenbahnarchäologischer“ Spurensuche im Südosten Mallorcas. Wenn das kein Eisenbahnparadies ist?

(Text: Klaus-J. Vetter, unter Mitarbeit von Wolfgang Heitzmann)
Letzte Aktualisierung September 2018.

Diesel Triebwagen elektrischer Triebwagen Zugtreffen
Wer in den Osten der Insel mit der Bahn fahren will, muss umsteigen: Von Palma bis Empalme geht's elektrisch (rechts), nach Manacor bzw. Sa Pobla geht's mit den älteren Diesel(elekrischen) Triebzügen weiter - bis Ende 2018 der elektrische Betrieb auch hier eröffnet wird und das Umsteigen entfällt.

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